Dienstag, 13. September 2016

Gedankengrütze #4

Hej,
Heute mal meine Gedanken zum Thema "Heimweh".
Darüber nachgedacht zu haben. Zumindestens nicht groß. Hingesetzt und geschrieben.
Nun denn, Gedankengrütze aus Linneas Kopf:





Heimweh.

Komisches Wort.

Aber was bedeutet das überhaupt?

Bevor du dein Austauschjahr antrittst fängt es an. Also nicht das Heimweh, sondern die „Aufklärung“. Schon auf dem VBT wird dir lange und breit erklärt, wie verständlich und normal es ist, Heimweh zu haben. Dann, im Soft Landing Camp, kommt es wieder. Es sei normal und verständlich und falls man es hat, soll man darüber sprechen.
Aber keine Sau erklärt dir, was genau das eigentlich ist, dieses Heimweh. Ist es dasselbe wie ein Kulturschock? Ähnlich? Anders?

Und wie soll man darüber reden, wenn man nicht einmal weiß, was das ist. 
Ist es überhaupt negativ?

Heim. Weh.
Heim, Heimat, daheim sein. Weh, Wehmut, Schmerzen, eventuell Sehnsucht.
Sehnsucht nach daheim. Der Schmerz bei dem Gedanken an daheim. Aber bedeutet „daheim“? Ist es eine Ortsangabe? Wo du lebst? Wo du gerne wärst? Oder ist daheim eine Person? Deine Familie? Deine Freunde? 

Oder geht es bei dem Wort „daheim“ um etwas Vertrautes?

Demnach müsste „Heimweh“ ja die Sehnsucht nach Vertrautem sein. Aber das würde ja Heimweh nach längerer Zeit im Ausland ausschließen. Ich bin genau seit einem Monat hier in Schweden. Heute, am Abend des 2016-09-13 (13.09.16), kann ich sehr wohl behaupten, dass gewisse Dinge vertraut sind. Das unsägliche Quietschen meiner Zimmertür, das warme Abendessen, mein Schließfach in der Schule, mein Schulweg, der Weg zum Strand, ja, sogar Schwedisch wirkt mittlerweile vertraut. Dann bin ich doch komplett Heimweh-resistent, oder nicht?

Oder bedeutet „Heimweh“ doch etwas ganz anderes? Bezieht sich das „Heim“ in „Heimweh“ auf die Heimat? Das wäre dann bei mir Heilbronn. Oder? Oder ist es Deutschland? Muss man seine Heimat lieben? Wenn ja, dann würde ich eher sagen, dass meine Heimat Deutschland ist. Bedeutet „Heimweh“, dass man seine Heimat vermisst? Vermisse ich Deutschland? 

Noch so ein komisches Wort. „Vermissen“. Alle tun immer so, als wüssten sie genau, was „vermissen“ bedeutet. Dabei ist es doch dasselbe wie mit „Heimweh“. Alle immer so „Na klar!“, dabei haben sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht.
„Vermissen“ beschreibt ein Gefühl. Das Gefühl, dass jemand, oder etwas, fehlt und man diese Person/dieses Ding jetzt gerne bei sich hätte. Oder?
Oder kann „vermissen“ auch etwas Positives beschreiben? Ich meine, wenn ich sage, dass ich meine beste Freundin vermisse, zeigt es doch eigentlich, dass eben diese beste Freundin dir wichtig ist. Was bei mir der Fall ist, weil ich nämlich die beste Freundin der Welt habe und man so jemanden kein zweites Mal findet. Aber habe ich deswegen Heimweh?

Aus der „Heimweh bedeutet Vermissen“ Theorie werde ich nicht schlau. Sie stellt mich nicht zufrieden. Ich brauche irgendwas Greifbares. Erfahrungen? 

Von Heimweh wurde mir bisher immer nur so berichtet, dass man kurz vor einem Heulkrampf steht, nur noch zu seiner biologischen Familie will und in sein eigenes Bett in Deutschland.
Wenn das Heimweh ist, kann ich sagen, dass ich noch kein Heimweh hatte.
Jemand anderes, habe leider vergessen wer, hat mir mal erzählt, dass Heimweh aber auch anders auftreten kann. Zum Beispiel beim Abendessen mit der Gastfamilie. Wenn man auf einmal daran denken muss, wie die eigene Familie auch gerade am Küchentisch sitzt, dein Platz aber leer ist. Vielleicht sitzt da auch gerade die Freundin deiner kleinen Schwester. Was macht sie überhaupt gerade so? Wie geht es deinen Eltern? Ist meine Zimmertür gerade offen oder zu? Ist mein Bett überhaupt bezogen? Ist mein Zimmer noch im „Normalzustand“ oder haben meine Eltern schon angefangen zu renovieren?
Das sind eigentlich ziemlich banale Dinge, aber genau das kann laut dieser Person auch Heimweh sein. „Was macht der und der gerade?“ oder „Was würde der und der dazu sagen?“.

Ist das Heimweh? 

Ich weiß es nicht.
Ich weiß aber, dass ich das Wort nicht mag.

Zum einen, weil es angeblich etwas ist, worüber man reden muss, da es anscheinend ein Problem ist und wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht gerne über Probleme rede.
Zum anderen, weil es so undefinierbar ist.
Der Hauptgrund ist aber, dass es ein unfassbar hässliches Wort ist.

Jedes Mal, wenn ich die Frage „Are you homesick?“ bekomme, schüttele ich leicht lächelnd den Kopf und antworte nur, dass ich ein paar Dinge vermisse.

Und das ist auch gut so.
Denn vom ewig in Gedanken in Deutschland sein hat niemand was. Rausgehen und genießen lautet die Devise.




Aber meistens ist es nämlich gar nicht so, dass dich deine Gedanken an dein Heimatland runterziehen oder dir die gute Laune verderben. Meistens ist es so, dass dir irgendwas im Gastland richtig auf den Sack geht. Wobei. Kann das nicht auch Heimweh sein? Wenn dir etwas Negatives auffällt, was es in deinem Heimatland nicht gibt.
Wobei, das ist angeblich ein Merkmal eines Kulturschocks. Wenn man anfängt „nur“ die Negativen Dinge deines Gastlandes zu sehen. Sind Heimweh und Kulturschock dann doch wieder das gleiche?

Gerade, als ich dabei war zu denken, dass es vielleicht noch etwas früh ist, darüber zu schreiben, weil ich ja gerade einmal einen von 10 Monaten hier bin, ist mir noch was aufgefallen:

Vielleicht hat Heimweh ja auch etwas mit einer Art Zukunftsangst zu tun. 

Das würde Sinn machen.
Das muss man sich so vorstellen. Du bist im Ausland. Anfangs ist alles neu, es fühlt sich an wie ein Urlaub. Dann fängst du an zu verstehen, dass es kein Urlaub ist. Die Schule fängt an, du bist in die Gastfamilie integriert,… Du realisierst, dass du alte Freunde und deine, biologisch klingt immer so gefühlskalt, alte ist aber auch nicht besser, Familie erst im nächsten Sommer wiedersiehst. Und das ist gruselig. Aber so richtig. Nicht nur das, auch wenn man so an alltägliche Dinge denkt. Mittwochs mit dem Bus zur Geigenlehrerin und auf dem Bus in Richtung „nach Hause“ ist die ältere Frau, die dir immer so nett zugelächelt hat. Ist sie überhaupt noch da, wenn du zurück kommst? Fällt ihr auf, dass du nicht mehr im Bus bist?

Es ist zu früh um darüber nachzudenken, wie es ist, wieder nach Deutschland zu kommen. Und das sollte man nicht. Man hat hier ja immerhin noch neun Monate. Sagen manche.
Ich sage aber lieber, dass ich hier schon einen tollen Monat hatte. 

Denn das „Im-Hier-Und-Jetzt-Leben“ macht es aus. 

Das verhindert auch dieses „Erst im Sommer-Wehmuts-Heimweh“.

Denn dieses kleines bisschen "Heimweh", was auch immer das genau ist, ist nichts im Vergleich zu den Dingen, die ich hier sehen und erleben, die Personen die ich treffen und kennenlernen kann.
Heimweh ist meiner Meinung nach ein wenig wie eine Weg-
gabelung. Man hat die Macht darüber, ob man abbiegt oder
auf dem Weg bleibt. Und manchmal muss man abbiegen.








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3 Kommentare:

  1. Wow.
    Ich bin echt sprachlos. Schon oft habe ich darüber nachgedacht, was "Heimweh" eigentlich ist und wie das mit diesem "Kulturschock" zusammenhängt, aber ich glaube nichts hat mich so zufrieden gestellt, wie dein Text. Auch wenn du selbst keine Erklärung dafür hast -oder eben deswegen...

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  2. Absolut phantastischer Eintrag, richtig philosophisch! Wir sind stolz auf dich! Zimmer ist noch nicht renoviert!
    Gruß
    Mutter

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  3. Ich mag das Wort auch nicht. Sage stattdessen immer "Homesick"
    Linnea, ich weiss, ich hab dir das schonmal gesagt, aber du bist du unglaublich talentiert! Mach weiter so!
    Kram, Kira

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